Wer die Krankheit annimmt, lebt besser

Professor Berthold Jany

- Missionsärztliche Klinik Würzburg - über den Umgang mit dem Leiden.


Professor Dr. Berthold Jany Missio Klinik Wuürzburg.

Professor Berthold Jany
Foto MP

Mainpost/Volksblatt
03.05.2003
Würzburg


Es muss gar nicht eine tödliche Bedrohung wie der Krebs sein.

Eine chronische Erkrankung, eine bleibende Behinderung nach einem Unfall können das Leben dramatisch verändern.


"Es gibt sehr viel mehr Krankheiten, die chronisch verlaufen und ein Dauerproblem bleiben als solche, die sich heilen lassen", erklärt Professor Berthold Jany, Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg. Wo Heilung nicht mehr möglich ist, sieht er die Herstellung eines lebenswerten Lebens als gleichberechtigtes Ziel an. Herz-Kreislauf-Störungen, Asthma, manche Formen von Krebs begleiten den Menschen. "Unsere Aufgabe ist es, den Patienten damit nicht allein zu lassen. Er muss auch mit seinen seelischen Bedürfnissen zum Arzt kommen können. Der Arzt ist nicht nur Fachmann für Krankheit, sondern auch Begleiter in schwierigen Zeiten, ein Heiler im umfassenderen Sinn."

Dies werde aber immer schwieriger, weil der Kostendruck zum Zeitdruck führe. "Die Verweildauer im Krankenhaus sinkt dramatisch. Wer früher zwei Wochen lag, wird jetzt vielleicht nach fünf Tagen nach Hause geschickt." Dazu komme eine Flut von Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben. Das gehe zum Teil auf Kosten der Zeit, die für die menschliche Betreuung zur Verfügung stehen müsste. "Ärzte, Schwestern und Pfleger klagen oft, dass die Zeit fehlt, sich einmal hinzusetzen und mit dem Kranken eine halbe Stunde über seine Lage zu reden."

Trotzdem müssten Ärzte und Pflegepersonal dafür da sein: "Genesung, Heilung oder eben das Zurechtkommen mit einer chronischen Krankheit geht nicht ohne die seelische Dimension. Ob man das Gott nennt oder ein nichtreligiöses Menschenbild dahintersteht, das muss jeder für sich entscheiden."

Auch wissenschaftlich sei erwiesen, dass es nicht genüge, die Leber oder die Lunge zu behandeln, ohne den ganzen Menschen im Auge zu haben. "Gute Strategien, mit der Krankheit umzugehen, verbessern die Heilungschancen."

Trotzdem warnt der Mediziner vor übertriebenen Hoffnungen. Die Weltgesundheitsorganisation nennt das Fehlen von Krankheit oder Beschwerden, das Vorhandensein absoluten Wohlbefindens als Faktoren für Gesundheit. Dies hält Professor Jany für eine Überheblichkeit. "So etwas gibt es nicht." Gesundheit sei immer eine subjektive Angelegenheit, die Fähigkeit der Menschen, mit Leiden umzugehen, sei sehr unterschiedlich.

Die Erwartung vieler Patienten an die Behandlung beschreibt er so: Möglichst schnell, möglichst optimal, auf technisch höchstem Niveau, möglichst ohne Schmerzen, es darf nichts zurückbleiben. Angesichts der Fortschritte in der Medizin sei diese Erwartung verständlich, trotzdem warnt der Mediziner: "Wir müssen vermitteln, dass Gesundwerden nicht immer bedeutet, dass alle Beschwerden weg sind."

Man müsse die Krankheit annehmen, sich auf die Teile des Lebens konzentrieren, die man noch sinnvoll gestalten könne. "Mir tun die Patienten besonders leid, die beständig mit ihrer Krankheit hadern, die beständig fragen, warum es gerade sie getroffen hat. Es gibt Patienten, die fangen an, an Gott und der Welt zu zweifeln, die argumentieren, dass sie sich doch nichts haben zu Schulden kommen lassen. Ich kann ihnen das nicht verdenken. Aber irgendwann muss man sein - ich nehme einmal das alte Wort - Schicksal annehmen. Der Krebs kann auch Menschen treffen, die gesund gelebt haben. Das Annehmen der Krankheit ist die wichtigste Voraussetzung dafür, trotzdem ein erfülltes Leben führen zu können." Die Missionsärztliche Klinik bietet zum Beispiel ein Programm an "Aktiv leben trotz Krebs" . Dessen Inhalt ist es erstens, über die Krankheit zu informieren, Ängste abzubauen. Es soll zweitens helfen, mit der Krankheit zurechtzukommen: "Es hilft sehr, mit anderen in der gleichen Lage zu sprechen, zu sehen, dass auch andere solche Krankheiten überstanden haben und damit zurechtkommen."

Heilen kostet Geld - und das Geld setzt Grenzen für die Heilung. "Es ist eine paradoxe Situation entstanden: Große Summen werden für die Grundlagenforschung und die Entwicklung hochwirksamer Therapien ausgegeben. Auf der anderen Seite werden bestimmte Medikamente nicht im eigentlich möglichen Umfang eingesetzt, weil sie zu teuer sind. Aber das Gesundheitssystem ist von der Wirtschaftlichkeit her ausgemolken und die Kosten sollen ja nicht mehr weiter steigen." Schon jetzt werde die ethische Dimension der Heilberufe schamlos ausgenutzt: "Man baut darauf, dass keiner die Patienten liegen lässt, wenn seine Arbeitszeit beendet ist."

Die Kirchen betonen den persönlichen, solidarischen Umgang mit der Krankheit. Der Mensch müsse seine eigene Endlichkeit annehmen und damit auch Krankheit. Eine Klinik wie das Missio mit einem ausdrücklichen christlichen Hintergrund unterscheidet sich in den Abläufen nicht von anderen Krankenhäusern, so Professor Jany. Der Unterschied könne nur in der Art und Weise liegen, wie Mitarbeiter mit Belastungen und Krisen umgehen. Das Modell eines christlichen Krankenhauses sei nicht in Leitbildern formuliert, es müsse sich in der täglichen Arbeit zeigen.

Ludwig Sanhüter
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