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Das kleine Archiv


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Hermann Hesse wäre wohl gerne 

Würzburger gewesen.


Fränkisches Volksblatt Würzburg.
02.07.2002

"Wenn ich ein zukünftiger Dichter und gerade mit der Wahl meines Geburtsortes beschäftigt wäre, dann würde ich die Stadt Würzburg sehr mit in Erwähnung ziehen", schrieb Hermann Hesse in seiner Schrift "Spaziergang in Würzburg".
 

"Literatur-Nobelpreisträger heute
vor 125 Jahren geboren "
                         
"Die vergnügliche Stadt" hatte es ihm ungemein angetan, nachdem er sie 1928 besucht hatte. Entzückt war er auch von den Eindrücken, die er gewann, als er einmal mit dem Flugzeug über Würzburg flog.  
Der Dichter, der sich ungern in den "Eskimoländern nördlich des Mains" aufhielt, war auch ein talentierter Maler. Im November 1986 eröffnete die Würzburger Städtische Galerie eine Hesse-Ausstellung. Der Dichter wurde als Maler gezeigt. Die bei der Eröffnung anwesenden Hesse-Söhne Bruno und Heiner hatten neben anderen Bilderausstellern viele eigene Exponate zur Verfügung gestellt.
Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw als Sohn eines baltischen evangelischen Missionspredigers geboren. Seine Mutter war die Tochter eines Missionars und Indologen. Einer pietistischen Erziehung entzog er sich bald durch die Flucht aus dem evangelisch-theologischen Seminar Maulbronn. Er wurde Buchhändler und war seit 1904 freier Schriftsteller. Er zog in die Schweiz, wo er 1923 das Bürgerrecht erhielt. Er bereiste Europa und war 1911 in Indien. Im 1. Weltkrieg war der Dichter für die deutsche Kriegsgefangenenfürsorge tätig. Für seine schriftstellerische Tätigkeit erhielt er 1946 den Literaturnobelpreis, 1955 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Seine Erzählkunst ist insgesamt von Goethe und Gottfried Keller geprägt. Kultstatus erreichten bei der Beat-Generation seine Erzählung "Siddhartha" (1922) und "Der Steppenwolf" (1927).
Die Konfrontation des ethischen mit dem ästhetischen Menschen gestaltete er in "Narziß und Goldmund", wo "keine andere Großstadt Deutschlands so sehr in Hesses Werk einbezogen wurde wie das alte Würzburg - ein Ort, der ihn auf eine geradezu wahlverwandte Weise faszinierte", so Volker Michel, Lektor und Herausgeber des Hesse-Nachlasses im Suhrkamp Verlag Frankfurt.
Würzburg hatte seine Liebe. Das zeigte sich auch dadurch, dass er nach der Zerstörung 1945 dem ehemaligen Würzburger Franz X. Münzel erlaubte, seine Schrift "Spaziergang in Würzburg" herauszugeben. Mit den Einnahmen sollte den Bürgern der zerstörten Stadt geholfen werden. In einer Art stiller Begeisterung beschreibt er seine Entdeckung des alten Würzburg: Ungewollt landet er vor der Residenz, mag aber in der fremden Stadt nicht mit dem Berühmtesten anfangen. "Die Stadt", so bemerkt er, "gehört zu den freundlichen und nahrhaften." Froh und ahnungsvoll roch es nach Brot, Käse, Wurst und Fisch, Gemüse und frischen Früchten. Kaffee- und Tabakduft überall. Weingerüche kamen ihm aus offenen Kellertüren entgegen und katholischer Weihrauch aus den unzähligen Kirchentüren.
Weder hungrige Askese herrschte ihm hier noch gierige Vergnügungssucht, sondern harmonische Lebensfreude. Nicht nordisch abstrakt und protestantisch, nein südlich, katholisch und wohltemperiert empfand er das Würzburger Leben um ihn herum. "Langsam durchwanderte ich Straßen, herrliche Gassen, wunderbare Plätze. Gotische Kirchen reichten in den Morgenhimmel. Madonnen sah ich fast an jeder Haustür und unter jeder Laterne." Hesse landete am Fischmarkt in der Karmelitenstraße. Dort hatte er Mitleid und hielt Zwiesprache mit den gefangenen Fischen. Am Mainufer war ein Jahrmarkt und der Main blitzte ihm "hell, blau und silbern".
Über die Alte Mainbrücke ging's ins Meeviertel. Dort kaufte er Zigarren und Ansichtskarten und blieb im Gespräch mit dem Kaufmann, "dessen Ansichten und Gedanken sichtlich nicht die meinen waren, ihn aber gewiss nicht schlechter kleideten als mich die meinen". Später schlenderte der Schriftsteller in ein ausgestorbenes Gässchen und landete durch die Hintertüre in einer Kirche. Es war die Burkarduskirche. Die Madonna Riemenschneiders, traumhaft aus einem Glasgehäuse blickend, begeisterte den Dichter besonders und ließ ihn die poetischsten Worte für sie finden.
Später ging es wieder über die Brücke in die Stadt zurück. Endlich bewunderte er nun Tiepolos Fresken in der Residenz. Müde und mit Würzburger Bildern überfüllt, ließ er sich dann am Nachmittag im fürstlichen Garten nieder: Er lauscht den Singvogelstimmen und vergisst auf einer Bank sitzend, in welcher Stadt und welchem Jahrhundert er denn sei.
Hermann Hesse, der Bewunderer des alten Würzburgs, verstarb am 9. August 1962 in Montagnola bei Lugano in der Schweiz. Sein literarisches Werk wurde in alle Kultursprachen übersetzt. Der Freund Würzburgs soll nach dem Krieg gesagt haben: "Unter all den herrlichen deutschen Städten, deren Zerstörung wir Hitler verdanken, ist kaum eine mir so lieb gewesen wie das herrliche Würzburg. Die Leser des ,Goldmund' wissen, was es mir bedeutet hat."
Sein Credo war das "Sei Du selbst!". Thomas Mann hatte ihn als den ihm Nächsten und Liebsten erwählt und sein literarisches Wachstum mit Sympathie begleitet. Es gäbe nichts Deutscheres als ihn und sein Werk und dies im alten, frohen, freien und geistigen Sinn, dem der deutsche Name seinen besten Ruhm, dem er die Sympathie der Menschheit verdankt.

Walter L. Frühauf