Das sagen auch viele Menschen von sich, die nicht (mehr) an einen Gott, gar an den Gott des Christentums im überlieferten Sinne, glauben. Beten - anscheinend ein Urbedürfnis des Menschen.
Es kommt zum Vorschein, wenn überwältigende Gefühle und Ereignisse auftreten, wenn die Not oder die Freude unsagbar werden. Es rührt sich, wenn den Menschen die Ahnung heimsucht, es müsse doch ein unsichtbares Walten hinter den Zufälligkeiten dieser Welt stehen. Es bewegt den Menschen, der in den so brüchigen und endlichen Beziehungen menschlicher Liebe ein für immer erfüllendes und liebendes Du vermisst und ersehnt. Das Bedürfnis zu beten, sich innerlich an eine alles Menschliche übersteigende Macht zu wenden, in göttliches Du anzurufen, das von mal zu mal so unberechenbar im Herzen aufsteigen kann, wird in einer Zeit wie der unseren bei vielen Menschen lange Zeit ignoriert. Selten führt es die Menschen heute dorthin, wo die Beziehung zu Gott im Gebet ihren auch äußerlich sichtbaren Raum hat, in die Kirchen und die kirchlichen Gemeinden. Und wie man die Zuwendung zu Gott im Gebet heute allein als private, intime Angelegenheit betrachtet, versteht man auch das Bild von dem Gott, an den man sich eigentlich wendet, als reine Privatsache.
Ein Gottesbild, das jeder sich nach seinen Ideen zurechtlegt, ist nur ein Produkt menschlicher Vorstellungen und Sehnsüchte. Ein Gottesbild, das einzelne oder eine Gruppe anderen vorschreiben, ist ein Produkt menschlicher Machtverhältnisse.
Der Gott, von dem wir Christen sprechen,
ist kein
erdachter, kein erträumter, kein befohlener,
auch kein mehrheitlich beschlossener Gott. Der
Gott
der Christen ist der Gott, der sich selbst in Jesus Christus
vernehmbar, sichtbar,
zugänglich gemacht hat in dieser Welt. Diese Selbstoffenbarung
Gottes
im Leben Jesu von Nazaret ist ein geschichtliches Ereignis, es
lässt sich nicht wiederholen, es lässt sich nur bezeugen von
denen, die es
konkret erlebt, gesehen, gehört und berührt haben.
Unsere Zeugen sind die Apostel, und die
Kirche trägt die Bürgschaft dafür, dass das Zeugnis"Gott
ist die Liebe"
unverfälscht durch nun zwei Jahrtausende überliefert wurde.
Die Beglaubigung für dieses Zeugnis
geschieht durch Gott selbst: im Heiligen Geist, der nicht allein in der
Kirche wirkt, sondern im Herzen eines jeden Menschen gegenwärtig
ist (vgl. auch Röm
8,26). Mit jedem Menschen beginnt eine neue, einmalige
Beziehungsgeschichte zwischen Schöpfer und Geschöpf.
Elie Wiesel, ein Überlebender des Holocaust, stellte fest: "Jeder Mensch hat ein Gebet, das ihm allein gehört, wie er eine Seele hat, die ihm allein gehört. So, wie es dem Menschen schwerfällt, seine Seele zu finden, so fällt es ihm auch schwer, sein Gebet zu finden. Die meisten Menschen leben mit Seelen und sprechen Gebete, die nicht die ihren sind.
"Beten ist nicht nur einfach eine
religiöse Anwandlung eines Menschen, es ist eine existentielle
Frage. Beten hat zu tun
mit der lebenslangen Suche eines Menschen nach sich selbst, nach seiner
Identität.
Betend, innerlich vor Gott stehend, erkennt der Mensch erst, wer er
wirklich
ist, betend erfährt er, wozu er da ist. Betend macht er die
Erfahrung,
wie unfassbar er geliebt ist.
Betend entdeckt er, in welch nie geahnter
Weise
er selbst begabt ist, eine Antwort der Liebe zu geben. Und im Staunen
über
diese Erfahrung der Liebe wird sein Gebet zur Anbetung Gottes, er hat
seine
Identität gefunden. Anbetung ist Dasein für Gott - ohne
Nebenabsichten,
Ausdruck dafür, dass er die Mitte des Lebens ist. Anbetung ist
liebend
auf Jesus schauen, in den Ereignissen seines Lebens, in seinem Wort, in
den
Zeichen von Brot und Wein. Anbeten heißt sich bekehren.
Alle Widerstände gegen Gott hochkommen lassen und sich ihm neu zuwenden. Anbeten heißt sich ihm aussetzen, mit aller Armut, Leere, Dunkelheit, Verworrenheit, Unruhe, die Seele in seine Sonne halten, sich von ihm lieben lassen. Anbeten heißt sich von ihm befreien lassen aus aller Angst und Verhärtung und die Freude wiederfinden. " Wie groß ist die Macht des Gebetes! Keine schönen Phrasen machen! Einfach sagen, was man denkt: Er versteht." (Therese von Lisieux)
(geschrieben von guten Händen)