WIEDERAUFBAU

Wiederaufbau

Es wurde behauptet, daß auf dem von der Atombombe zerstörten Boden das Leben erst nach siebzig Jahren wieder aufblühen werde. Während die Einwohner sich fürchteten, nach Urakami zurückzukehren, erklärte Nagai: «Ich gehe dorthin und werde als erster wieder dort leben.» Nach drei Wochen schon konnte er einen wimmelnden Ameisenhaufen beobachten; einen Monat später entdeckte er einen Regenwurm und sah, wie eine Ratte aus einer Kloake sprang. Kartoffeltriebe sproßen aus der verbrannten Erde hervor und waren bald mit Ungeziefer überzogen. Daraus schloß der Doktor, daß die Lebensmöglichkeit auch für den Menschen vorhanden sei. Er baute sich in der Nähe seines ehemaligen Hauses eine Unterkunft: einige über Mauerüberreste gelegte Eisenbleche; vor der Hütte dienten zwei Steine als Herd, daneben stand eine halslose Flasche: der Wasserbehälter. Seine Kleidung bestand aus einer jener alten Marineuniformen, welche den Obdachlosen vom Militär ausgeteilt worden waren. Bittere Armut herrschte in diesem Jammertal.
        Eines Tages, als Nagai Besuch erhielt, sagte er diesem: «Wir sind wirklich arm, nicht wahr?» Aber kaum ausgesprochen, bereute er jene Worte schon. War es nicht dasselbe, mit dem Reichtum zu prahlen oder sich über seine Armut zu beklagen? Was nützt die materielle Armut, wenn das Herz mit Wünschen überfüllt ist? War das etwa das gute Beispiel, das er seinen Mitbürgern geben sollte? Von jenem Tag an hörte man Doktor Nagai nie mehr sich über seine Armut beklagen.
        Die zerstörte medizinische Fakultät wurde an drei verschiedenen Orten untergebracht. Doktor Nagai, der inzwischen zum ordentlichen Professor ernannt worden war, sah sich daher genötigt, stets hin und her zu reisen. Die rüttelnde Bahnfahrt verursachte ihm schreckliche Schmerzen, war aber kein Grund für ihn, seine Tätigkeit als Dozent einzuschränken. «In der Bahn», scherzte er, «richtet sich meine ganze Aufmerksamkeit dahin, meinen Leib zu schützen!» Man schlug ihm vor, im Spital zu wohnen, in dem er den größten Teil seiner Vorlesungen hielt. Aber der Doktor lehnte dieses Anerbieten energisch ab: «Ich will Urakami nicht verlassen, ich will es zusammen mit seinen Einwohnern wieder aufbauen. Können Sie sich vorstellen, daß ich in einer prächtigen Pension wohne, während die andern in armseligen Blechbaracken sitzen? Schauen Sie doch, wie da und dort die ersten Häuser entstehen; welche Freude für mich, meine Stadt wieder aufblühen zu sehen!»
        Nun schickte sich Nagai an, die Trümmer seines Hauses wegzuräumen. Er wühlte an der nordöstlichen Ecke in der Asche. «Endlich habe ich es wieder gefunden, das Kruzifix des Familienaltars. Natürlich war das hölzerne Kreuz im Feuer zugrunde gegangen, aber der gekreuzigte Christus aus Bronze war ohne die geringste Verunstaltung unversehrt geblieben ... Alles wurde mir entzogen, nur dieses Kreuz habe ich wieder gefunden.»
        Mühsam schleppte er sich zur hintersten Ecke seines Gartens; dort entdeckte er eine Blume: «Mitten unter zerbrochenen Ziegeln blüht einsam eine Morning Glory'. Vor dieser leuchtenden Pracht möchte ich auf der Stelle niederknien und unwillkürlich Gott danken für diese wunderbare Gabe: erstes Geschenk seiner Güte unter diesen trostlosen Trümmern.»
        Das Geld, das ihm einer seiner Vettern gesandt hatte, schenkte Nagai einem polnischen Mönch, der aus einem Konzentrationslager heimkehrte und sein Kloster, wieder aufbauen wollte. «Einen Monat später erhielt ich aus dem neueröffneten Kloster eine Bibel und eine Statue der heiligen Jungfrau. Mit meinem Kruzifix an der Wand brauchte ich nun nichts mehr, um glücklich zu sein. Ich bete für meine Wohltäter und fühle mich als den reichsten Mann der Welt.»

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