Explosion der Atombombe
9. August 1945; es ist 11 Uhr 02.
Ein blendender
Blitz, ein plötzlicher Temperaturanstieg auf 9000 Grad Celsius: Urakami,
nordwestliches Vorortsquartier von Nagasaki, wird von einem Windstoß
mit der Geschwindigkeit von zwei Kilometern pro Sekunde weggeblasen ... Alles
brennt! Die Leichen der Passanten liegen verkohlt auf der Straße. Andere
sind in ihren abgebrannten Häusern in Asche verwandelt worden. 30 000
Tote, 100 000 Verwundete ... Von den 10 000 Katholiken von Urakami waren
8500 ums Leben gekommen ... In einer Schule blieben von 1800 Kindern nur
200 am Leben. Die 700 Meter vom Explosionszentrum gelegene Medizinische Fakultät
hatte dank ihrer Eisenbeton-Konstruktion der ersten Zerstörungswelle
standgehalten; sie sollte jedoch bald in Flammen aufgehen. Im Augenblick der
Explosion war Nagai mit Einordnen von Röntgenaufnahmen beschäftigt;
er wurde vom Luftdruck zu Boden geworfen, seine rechte Seite war voller Glassplitter,
aus seiner rechten Schläfe floß Blut in Strömen. Langsam
kroch Nagai aus dem Trümmerhaufen hervor und schwankte in das untere
Stockwerk. Aus dem Sprechzimmer, aus dem Gang, von überall her stiegen
Hilferufe empor. «Geduld, ich komme!» rief Nagai und preßte
die Hand auf die verwundete
Schläfe.
Die erste Hilfe
begann. Zerrissene Hemden dienten als Verbandstoff. Doktor Nagai arbeitete
mit der linken Hand und preßte mit der rechten seine Schläfe zu.
Durch die Behandlung eines Patienten in Anspruch genommen, vergaß er
manchmal seine Schläfe festzupressen, und das Blut spritzte aus der
Wunde heraus, beschmutzte die Kleider der neben ihm arbeitenden Krankenschwester.
«Da die Gefäße der Schläfe eng sind, kann ich wohl noch
drei Stunden aushalten; gerade genügend um die erste Hilfe zu erteilen»,
bemerkte er und fühlte sich von Zeit zu Zeit den Puls, um festzustellen,
ob seine Kräfte noch ausreichten.
Das Tal von Urakami
hatte sich bald in einen Schmelzofen verwandelt. Ein ununterbrochener Strom
von Verwundeten stürzte durch das Spitaltor; blutende Gestalten mit
zerrissenen Kleidern und verbrannten Armen ... Kinder, welche die Leichen
ihrer Eltern herbeischleppten ... junge Mütter, die den kopflosen Leib
ihrer Säuglinge umarmten ... eine Erscheinung der Hölle auf Erden!
Die meisten Medikamente
waren unbrauchbar geworden; allein etwas Verbandmaterial für erste Hilfe
blieb noch übrig ... aber Tausende von Verwundeten warteten. Nagai verfügte
über wenige Hilfskräfte. «In Gottes Namen, wir wollen unser
Möglichstes tun, bis unsere Kräfte versagen!»
Die Feuersbrunst
nahm beängstigende Ausmaße an, das Spital selbst war unmittelbar
gefährdet. Es wurde daher beschlossen, die Patienten auf eine naheliegende
Anhöhe zu evakuieren.. Als Nagai zwei Verwundete auf seinen Armen forttrug
und einen dritten an der Hand führte, spürte er, wie ihn seine
Kräfte verließen. Fräulein Hisamatsu, die Oberschwester, bemerkte:
«Aber Herr Doktor, Sie sind ganz bleich, ruhen Sie doch hier einen
Augenblick aus!» «Machen Sie mir doch keine Angst», erwiderte
er und zeigte auf das von Ruß geschwärzte Gesicht der Krankenschwester:
«Sie sind schwarz wie eine Negerin!» Inzwischen fühlte er
sich wieder den Puls... In der Tat, dieser schlug immer schwächer.
Um vier Uhr nachmittags
griff das Feuer auf die Röntgenabteilung über. Dreizehn Jahre Forschung,
mühevoll zusammengestellte Aufnahmen, Instrumente, deren genaue Einstellung
Jahrelange Arbeit gekostet hatte, alles ging in Flammen auf. Als man ihm
seinerzeit gesagt hatte: «Leukämie, Lebensdauer drei Jahre»,
hatte er beschlossen, diese kurze Zeit auszunützen, wertvolles Material
für wissenschaftliche Forschung zu sammeln ... Und nun war alles vernichtet.
Neben ihm standen seine Assistenten und Mitarbeiter mit Tränen in den
Augen und starrten den aufsteigenden Rauch an. «Alles ist verloren»,
stöhnte Nagai. Mühsamen Schrittes ging er zum Spitaldirektor Bericht
erstatten: «Alle Patienten sind evakuiert worden.» Kaum hatte
er sich, nach beendetem Rapport, zwanzig Schritte entfernt, erlitt er einen
Schwindelanfall.
Unweit von ihm
schlief, vollständig erschöpft, eine seiner Krankenschwestern im
Gras. Nachdem er sie mit seinem Mantel zugedeckt hatte, brach er nach einigen
Schritten bewußtlos zusammen. Ein brennender Schmerz brachte ihn wieder
zu sich: man versuchte seine verwundete Schläfe zuzunähen. Der
Eingriff erwies sich nicht einfach, gelang jedoch schlußendlich und
linderte seine Schmerzen. Nagai erhob plötzlich die Stimme: «Die
Männer sollen für Obdach sorgen und die Frauen die Mahlzeit bereiten
. . .» dann sank er für mehrere Stunden ohnmächtig hin. Am
10. und 11. August wurden immer noch Verwundete gepflegt. Endlich nahm die
Arbeit allmählich ab, so daß Nagai Erlaubnis erhielt, nach Hause
zu gehen, um nach den Seinen zu schauen.