Wem die Glocke schlägt

"Jede Glocke ist ein Ruf Gottes"
Glocken-Liebhaber Andreas Greubel


Andreas Greubel.

Foto: Frank Kupke


Andreas Greubel erklimmt die letzte Stahl-Sprosse. Er steht in der Glockenstube. Das trübe Dezember-Licht dringt spärlich in Streifen durch die Lamellen im Turm der St. Elisabeth-Kirche in Bad Kissingen. Über dem 26-Jährigen hängt die genau zwei Tonnen schwere Dreifaltigkeitsglocke. "Für mich ist es das schönste Geläute im ganzen Stadtgebiet", sagt der 26-jährige Kissinger Glocken-Fan.


Er sucht einen Lichtschalter. Findet keinen. Sein Blick wandert nach oben. "Die Glocken hängen hier alle senkrecht übereinander, nicht neben einander im Turm", sagt er und stellt sich auf die runden Holzbohlen, die hier in der Mitte des Geschoss-Bodens aus Beton eingelassen sind, direkt unter den Kopf großen Klöppel. Fünf Glocken sind es insgesamt, sagt er. Und alle Glocken tragen einen Patron, beginnend mit der mächtigen Dreifaltigkeitsglocke, über die Elisabeth-, Johann-Nepomuk- und die Marien- bis zur kleinen St. Josefs-Glocke. Der Autolärm vom nahen Westring gelangt wie durch einen Vorhang gedämpft in die Glockenstube. Das Geläute der St. Elisabeth-Kirche ist zwar neu, sagt Greubel, während er die Aufhängung der Glocke betrachtet. Die Glocken geben jedoch brillante Töne von sich, die frei von jedweden Nebengeräuschen sind. "Sie klingen voll und einfach sauber." Gegossen hat sie 1988 die Gießerei der Gebrüder Bachert in Kochendorf, einem Stadtteil von Bad Friedrichshall.

Die baden-württembergische Glockengießerei ist eine von derzeit lediglich sieben deutschlandweit, sagt Andreas Greubel, der sein Mini-Disk-Aufnahmegerät samt Mikrofon unten im Turm-Erdgeschoss liegen gelassen hat. Er braucht es erst später wieder, wenn er das Geläute digital festhält. Denn seit zwei Jahren ist er in Sachen Glocken-Aufnahmen bayernweit unterwegs. Ihm fehlen nur noch die Glocken von Herz-Jesu- und Erlöserkirche, sagt er beim Abstieg. Dann kann er sämtliche Geläute des Kissinger Stadtgebiets auf eine CD brennen: sein Nahziel.

Begonnen hat es vor sechseinhalb Jahren, erinnert er sich. Es war am 16. März 1997. Wie in jedem Jahr sollten auch an diesem Tag zum Gedenken der Zerstörung Würzburgs durch die alliierten Bomben sämtliche Würzburger Glocken genau zur Uhrzeit des Luftangriffs läuten. Andreas Greubel wohnte an diesem 53. Jahrestag bei einer Bekannten, und zwar unmittelbar beim Dom.

Der irrtümliche Hinweis in einem Reiseführer hatte Greubel das Geläute bereits um 20:21 Uhr erwarten lassen. Nichts geschah. Doch eine Stunde später setzte plötzlich die neun Tonnen schwere Salvator-Glocke der Bischofskirche ein. Nach und nach fielen alle anderen Glocken in das erzene Konzert ein. Das Erlebnis ist überwältigend gewesen, sagt Greubel und rückt sich in der Bank zurecht.

Er empfindet so etwas wie Harmonie, wenn eine Glocke erklingt. "Jede Glocke ist ein Ruf Gottes", sagt der gebürtige Oberwerner. Er sei sehr christlich erzogen worden. Als Kind war er indes kein Ministrant gewesen. Das kam erst in seiner Würzburger Zeit. Von 1998 bis 2002 ministrierte er dann im Dom zu Würzburg - werktags um 17:30 Uhr, sonntags um 10 Uhr.

Seine Eltern hatten bis zum Verkauf des Hofes eine eigene Landwirtschaft. Er selbst machte nach der Schule zunächst sein Soziales Jahr im St. Nikolausheim in Würzburg. Ausbildungen zum Sozialbetreuer und zum Bürokommunikationskaufmann folgten. "Aber ich sah, dass das nichts für mich ist."

Jetzt wohnt er in Bad Kissingen, sagt er und zeigt sein Aufnahme-Gerät. Sein Stolz ist hierbei vor allem das Mikrofon, das auch Aufnahmen bei starkem Wind erlaubt. Derzeit arbeitet er bei einer Schmierstoff-Firma in Euerdorf. Das ist ein Broterwerb, der ihm allerdings auch Spaß macht. Seine eigentliche Leidenschaft gehört aber den Glocken. Immerhin gibt es mindestens eine Verbindung zwischen seinem Job und seinem Hobby: Schließlich müssen auch die Glocken-Aufhängungen mit einem solchen Fett geschmiert werden wie er es von seiner Arbeit her kennt.

Unlängst ist er auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt gewesen - der Glocken wegen. Und an diesem Tag ging's noch nach Windheim bei Hammelburg - auch dorthin für Glocken-Aufnahmen. Da braucht's jedes Mal eine genaue Vorbereitung. Wichtigste Ansprechpartner sind dann für ihn immer die Küster. Denn nur ungern macht er seine Aufnahmen beim Läuten vor dem Gottesdienst. Sind die CDs fertig, bietet er sie der jeweiligen Kirchengemeinde an. So hat er gerade 100 Exemplare seiner Glocken-CD des Schwandorfer Kreuzberg-Klosters der Kirche in der Oberpfalz zukommen lassen.

Zwölf Uhr mittags. Andreas Greubel zieht es aus der Kirchenbank nach draußen. Gerade beginnt die zweitkleinste Glocke des St. Elisabeth-Glockenturms zu läuten, die Marienglocke, die auch morgens um sieben und abends um sechs zum Angelus ruft.

Ja, gesteht er, beim Hinausgehen aus der Kirche. Einmal erlebte er schon etwas Unangenehmes. Und zwar in Fulda. Am 17. August dieses Jahres hatte er von der Straße aus die Glocken der Fuldaer Stadtpfarrkirche aufnehmen wollen. Zunächst lief alles glatt. Dann stürzte auf einmal jemand aus dem Gotteshaus heraus und bedrängte ihn mit Fragen. Der Fuldaer wollte seinen Pass sehen und drohte schließlich sogar mit der Polizei. "Das war ja alles nicht so schlimm." Da der Mann aus der Kirche ihm aber mehrmals in die Aufnahme gesprochen hatte, war die Aufzeichnung natürlich nicht mehr zu gebrauchen.


"Faszinierend" finden seine Bekannten sein Hobby, sagt Greubel. Außerdem trifft er sich einmal im Jahr mit Gleichgesinnten aus dem Deutschen Glockenverein auf der Burg Greifenstein im Hessischen. Sein Traum? Alle Glocken des Landkreises Bad Kissingen aufzunehmen, "sozusagen das ganze Saaletal hinunter." Aber dafür brauche er wohl noch ein paar Jahre. Außerdem hat er noch andere Ziele im Visier: Die nächste große Glocken-Tour führt ihn am Dreikönigstag nach Landshut, Dingolfing und Umgebung. Auch da sind Mini-Disk und Stereo-Mikrofon die ständigen kleinen Begleiter des großen Glocken-Fans.

Frank Kupke

Die Gloriosa in Erfurt.

Die "Gloriosa" zu Erfurt

Gloriosa

eine der größten und klangvollsten Glocken der Welt im Mariendom zu Erfurt.
Gegossen am 8.7.1497 durch Meister Gerhard Wou aus Kampen. Gewicht 11450 kg, Höhe 247 cm, Durchmesser 257 cm, Schlagton "e".


Gottvater wiegt anderthalb Tonnen

Mit Andreas Greubel bei Glocken-Aufnahmen in der Schondraer St.-Anna-Kirche

Andreas Greubel stellt Stereo-Mikrofon und Mini-Disk-Gerät auf den Treppenabsatz aus schweren Eichenbohlen. Es riecht nach Staub und trockenem Holz. Durch die Lamellen der schlanken romanischen Fenster fallen einzelne Streifen des mittäglichen Sonnenlichts. Der letzte Ton des Zwölf-Uhr-Schlages ist gerade verklungen. Doch der 27-jährige Garitzer hat es auf etwas abgesehen.

Kaum hat er das Gerät eingeschaltet, trifft der Klöppel die Marienglocke. Der erste strahlende Ton, ein zweigestrichenes c, ergießt sich aus dem Turm der St.-Anna-Kirche über die Dächer der Marktgemeinde Schondra und beginnt, den Sonntag einzuläuten.

Wo immer Andreas Greubel sich aufhält, hat er nur das Eine im Sinn. So war's jüngst im Urlaub in Donauried, Nördlingen, Höchstädt a. d. Donau, Ulm und Herrenberg. Und so ist's jetzt in Schondra im Altlandkreis Bad Brückenau an einem Samstagmittag im Spätsommer. Stets bannt Andreas Greubel aus dem Kissinger Ortsteil Garitz die Glockentöne der örtlichen Kirchen auf Mini-Disk.

Fünf erzene als Solisten

Drei Minuten lang erklingt die Marienglocke, die der Erdinger Gießerei Czudnochwski vor einem halben Jahrhundert angefertigt hat.

Dann ertönt die Anna-Glocke, die einen Ganzton tiefer, aus derselben Zeit stammt und ebenfalls von Czudnochwski ist.

Diesmal sind die Aufnahmen mehr als ein privates Ferienvergnügen. Die heutige Aufnahme der fünf Glocken der Schondraer St.-Anna-Kirche sind Teil seines ehrgeizigen Planes, sämtliche Glockenklänge des Landkreises Bad Kissingens festzuhalten. Der Glocken-Freund steht jetzt unter einem besonderen Druck: Vor zwei Jahren hat er die Glocken bereits aufgenommen. Damals machten störende Nebengeräusche die Aufnahme unbrauchbar. Heute gilt's.

Schmierstoffe und schöne Töne

Andreas Greubel blickt vom Treppenabsatz gespannt nach oben in  den Glockenstuhl. Denn jetzt ist die 500 Kilo schwere Sebastianus-Glocke dran, eine von zwei neuen Glocken, aus der Passauer Gießerei Perner, die erstmals Heiligabend 1999 erklangen. Greubel bleibt mit dem Mikro  im Zwischengeschoss. Eine Aufnahme direkt im Glockenturm komme mit Blick auf die beträchtliche Lautstärke nicht in Frage. Und außen am Fuß des Turmes sei der Ton zu schwach. Der gebürtige Oberwerner, der aus einem - wie er sagt - christlichem Elternhaus kommt, hat abgeschlossene Ausbildungen als Sozialbetreuer und Bürokommunikationskaufmann. Seine Brötchen verdient Greubel, der mittlerweile in Garitz wohnt, derzeit in einer Euerdörfer Schmiergeber-Firma.

Christus ist die Älteste

Greubel nickt. Der as-Ton der Sebastianus-Glocke fügt sich nahtlos ans Klangbild an. Genauso wie nach weiteren drei Minuten die Christus-Glocke, obwohl sich ihr zweigestrichener Ton g sich dissonant am as reibt. Die Christus-Glocke ist die älteste Glocke der Schondraer Kirche. Die Glocke von 1,04 Meter Durchmesser stammt aus dem Jahr 1839. Der Gießer ist unbekannt.

"Das geht jetzt schon an die Schmerzgrenze"
(Andreas Greubel)

Behutsam korrigiert Greubel die Position des Mikrophons. "Das geht jetzt schon an die Schmerzgrenze", sagt er und hält sich die Ohren zu. Denn nun beginnt die größte Glocke hin und her zu schwingen. Sie trägt den Namen Gottvater und ist ebenfalls eine Neuanschaffung von 1999. Der Turm, in dem das Glocken-Quintett hängt, ist das letzte imposante Überbleibsel des alten Kirchenbaus aus der Zeit um 1200, der wiederum einen vorromanischen Vorgängerbau von etwa 950 zum Kern hatte. Der hochmittelalterliche Bau wurde 1952 unter Bischof Julius Döpfner abgerissen und durch einen typischen 50er-Jahre-Bau des Würzburger Architekten Eugen Altenhöfer ersetzt, den der spätere Kardinal Döpfner 1954 weihte. Beeindruckende Relikte des Baus aus dem frühen 13. Jahrhundert finden sich im Inneren des Turm-Untergeschosses: hoch expressive Kapitelle mit dem für die zisterziensische Baukunst so charakteristischen Schachbrettmuster.

Jetzt trifft der Klöppel das erste Mal auf die fast anderthalb Tonnen Bronze, die sich, wie beim Glockenguss üblich, aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn zusammensetzt. 1400 Kilo Metall lassen ein mächtiges c erklingen, den tiefsten Ton dieses Geläutes.

Die Krönung des Geläutes

Aber die Krönung des Ganzen fehlt noch: das so genannte Plenum. Das heißt, das gleichzeitige Läuten von allen fünf Glocken aus der Zeit von 1839 bis 1999. Den Start macht auch hier der helle Ton der Marienglocke, zu dem sich nach und nach die anderen vier gesellen.

Fünf Minuten lang erbebt die Kirche im Tutti. Fünf Minuten lang dröhnt das klingende Erz. Fünf Minuten lang schaut Andreas Greubel mit weit geöffneten Augen zu, wie die Glocken ihr Werk vollbringen.

Dann ebben die Schallwellen ab. Die Glocken schwingen aus. Greubel nickt abermals. Um 20 Minuten nach Zwölf steht's fest: Die Aufnahme ist gelungen und kann auf CD gebrannt werden.

Spontan nimmt er noch schnell die so genannte Burschen-Glocke im Zwischengeschoss auf, ein Leichtgewicht, das zwar von ganz besonderem Klangreiz ist, aber nicht zum eigentlichen Geläute gehört. Greubel stellt die Mini-Disk auf Aufnahme und schlägt mit den Handknöcheln ans Metall. Für eine schlichte Dokumentation reicht das erst mal. Dann geht's über die Holzstufen und die Leiter nach unten, wo Greubel sich noch einmal kurz umwendet, nach oben schaut und einen Blick zum Glockenstuhl wirft, wo sich hinter den Lamellen der schmalen romanischen Fenster jene fünf Glocken verbergen, deren Töne Greubel auf seiner Mini-Disk mit nach Hause nimmt.

Die CD mit den Glocken-Tönen sämtlicher Kirchen aus Schondra, Oberleichtersbach und Geroda erscheint im ersten Vierteljahr 2005. Als nächstes sollen sämtliche Glocken aus den Altlandkreisen Brückenau und Münnerstadt aufgenommen werden. Bislang fertiggestellt sind drei CDs mit Glocken-Aufnahmen aus dem Landkreis Bad Kissingen.

Frank Kupke
Mainpost



Andreas, wir sind stolz auf Dich! Deine Freunde von der Musikgruppe in der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg danken für Deine Glocken CDs und Dein Mitsingen und Musizieren in unseren Krankengottesdiensten!


Pater Barnabas